Dienstag 1.8.2017, Fahrt nach Monterey
Wir wussten im Vorfeld, dass im Flugzeug kaum an Schlaf zu denken war und hatten so als erstes Ziel auf dem Festland wohlweislich Monterey ausgesucht, ca. zwei Stunden südlich von San Francisco.
Angelika steckt den Schlafmangel weit besser als ich weg und fährt daher den Wagen durchs Silicon Valley. Dabei fällt mir auf, dass ich über zwei Wochen gar nicht mehr gefahren bin. Der Wagen auf Kaua’i war auf mich registriert, ich hatte ihn aber nie gefahren! Angelika hatte mich zum Navigator verdonnert, was zu einem viel entspannteren Fahren führte. Ausserdem konnte sie so mir die Schuld geben, wenn wir uns verfuhren.
Auf dem Weg legen wir für das Morgenessen eine Pause in einem Restaurant der Kette Denny’s ein, was mich etwas aufweckt. Etwa eine Viertelstunde vor Ankunft haben wir beide dann aber echt zu beissen. Etwas vor acht Uhr beim Hotel angekommen, fragen wir ohne grosse Hoffnung, ob das Zimmer vielleicht schon bereit ist und siehe da: es ist! Wir nehmen unser Gepäck mit ins Zimmer, hüpfen sofort ins Bett und schlafen bis zum Mittag. Das tut vielleicht gut!
Als wir aufstehen, stellen wir fest, dass wir ein Hotel mit einer sehr guten Lage ausgesucht haben. Zum Hafen sind es zu Fuss gerade mal 10 Minuten. Dort angekommen schauen wir mindestens eine Viertelstunde den unzähligen Krebsen zu, die dort herumwuseln. Danach machen wir uns zur Fisherman’s Warf auf, die es auch hier gibt, einfach in kleinerem und sympathischerem Rahmen als in San Francisco. Auch hier sehen wir vom Hafen aus Seelöwen im Hafenbecken schwimmen.
Auf dem Rückweg stellen wir fest, dass auf der Hauptstrasse Marktstände aufgebaut worden sind. Dieser Markt erinnert stark an unsere Dorfmärkte, zum Teil werden dieselben Produkte angeboten. Die landwirtschaftlichen Produkte unterscheiden sich natürlich etwas von unseren: es gibt riesige Pfirsiche, überdimensionale Brombeeren, wunderschöne Erdbeeren und vieles mehr. Ausserdem gibt es verschiedene Aufführungen von Musikgruppen, von Papa und Tochter mit rockigem Sound bis zur siebenköpfigen Jazzband.
Zufrieden und im Crown & Anchor mit Guinness und Fish & Chips gestärkt, kehren wir zum Hotel zurück. Etwas ist noch zu erledigen: die Wäsche, wääähhhh!
Mittwoch 2.8.2017, Monterey
Gestern waren wir um 23 Uhr ins Bett gegangen und schlafen heute glatt bis 10 Uhr durch, so müde sind wir immer noch von der Zeitumstellung und vom Flug. Wir gehen also erst gegen Mittag zu Fuss in Richtung Dorf (Monterey), essen etwas in einer French Bakery und spazieren gemütlich dem Hafen entlang in Richtung Carmel-By-The-Sea. Auf dem Weg dorthin können wir über 20 Seehunde im Hafenbecken beobachten, die meist auf einem nicht mal aus dem Wasser ragenden Felsen ausruhen. Kopf, Bauch und Füsse schauen dabei aus dem Wasser, was von weitem recht eigenartig aussah. Einige dieser drolligen Kerlchen schwimmen und tauchen im Hafenbecken umher aber im Grossen und Ganzen sieht es doch eher nach Siesta aus.
Einen knappen Kilometer weiter kommen wir zum Monterey Meeresaquarium und sagen uns, dass wir dieses doch schnell besuchen könnten. Der Preis haut uns allerdings um: USD 50.- pro Person! Wir entscheiden uns dennoch für einen Besuch, und dieser lohnt sich. Faszinierend ist der Kelp Forest (frei übersetzt Tang-Wald), welcher von verschiedenen Fischen und Leopardenhaien bewohnt ist und sich über mehr als zwei Stockwerke erstreckt. Die Amis hatten hier ein wunderschönes, der Natur nachempfundenes Aquarium aufgebaut. Beeindruckend sind auch die Giant Sea Basses, Wolfsbarsche von mehr als einem Meter Länge und beachtlichem Ausmass. Gemäss Beschreibung können diese Fische bei einem Gewicht von 250kg 2.10m lang werden! Nicht mal eben Grazien des Meeres aber wie gesagt: beeindruckend.
Ein weiterer Teil ist der Open Sea gewidmet. Dort gibt es Aquarien mit wunderschönen Quallen und wieder ein riesiges Aquarium mit Thunfischen, Haien und Goldmakrelen (auf Hawaii Mahi Mahi), die es mir besonders angetan haben, da ich eine solche vor ein paar Jahren aus dem Mittelmehr gezogen hatte. Goldmakrelen können gegen 2 Meter lang werden und jene im Aquarium haben den Meter auch schon längst überschritten. Einer der Thunfische hat auf einmal die Idee, Vollgas im Aquarium zu geben. Wie ein Pfeil schnellt er durch das Wasser. Es ist unglaublich, wie diese Tiere in kürzester Zeit auf maximale Geschwindigkeit beschleunigen. Gemäss Google erreichen die schnellsten Thunfische 80km/h. Die erwartete Stunde Aquarium wird zum ganzen Nachmittag, so sind wir von der Anlage gefesselt.
Am Abend fahren wir zum 5km entfernten Carmel-By-The-Sea. Bekannt wurde dieser Ort, weil der Schauspieler Clint Eastwood 1986 zum Bürgermeister gewählt wurde. Wir würden das schöne Städtchen am Meer als St. Moriz von Kalifornien bezeichnen. Es hebt sich vom übrigen Amerikarummel ab, indem es keine Ampeln, keine Strassenschilder und keine Briefkästen gibt. Es scheint, als würde hier Diskretion gross geschrieben.
Als wir zu nicht wahnsinnig überrissenen Preisen zu Abend gegessen haben und es dunkel wird, ist es wirklich dunkel: keine Strassenlampen beleuchten irgendetwas. Nur die Lichter der Restaurants beleuchten ein wenig die Gehwege. Der Strand ist ebenfalls dunkel und wir machen uns deshalb bald wieder auf den Rückweg.
Noch etwas ist erwähnenswert: wir schauten in Carmel-By-The-Sea in Immobiliengeschäften einige Inserate von Häusern zum Verkauf an. Das günstigste war für über 2.5 Mio. zu haben und es gab viele Objekte, welche über 10 Mio. kosteten. In Anbetracht der langen Anreise verzichten wir also auf einen Kauf.
Donnerstag 3.8.2017, Fahrt nach Los Angeles
Gemäss Google Maps sollten wir nach Los Angeles rund fünf Stunden benötigen. Erneut fahren wir durch die monotone Landschaft Kaliforniens. Wieder beeindrucken uns die riesigen Weinberge, welche die Strasse säumen. An einer Vinery fahren wir wohl 10 Minuten mit den erlaubten 60mph vorbei, was dann 10 Meilen, also über 15 Kilometer Reben ausmachen, dies rechts und links der Strasse, und in der Tiefe sieht man teils nicht ans Ende. Ich vermute, dass dieses Gebiet weit mehr als das zehnfache der Bündner Herrschaft inklusive Sargans, Mels und Walenstadt produzieren muss.
Etwa zwei Stunden nach der Abfahrt sehen wir eigenartige Pumpen, wie ich sie vor 35 Jahren in der Serie «Dallas» sah. Google bestätigt meinen Verdacht: es sind Pumpen, welche Erdöl fördern, und dies ca. seit 1947! Ich wusste nicht, dass Kalifornien nebst Hightech und Landwirtschaft auch noch Öl als Ressource hat. Etwas später sehen wir noch ein weiteres solches Ölfeld.
Da wir in letzter Zeit etwas über die Stränge geschlagen haben, entscheiden wir uns, in Zukunft vermehrt auf die Hotelpreise zu achten. Wir brauchen ja nur etwas zum Schlafen, so auch in Los Angeles. Wir entscheiden uns für die Billigkette Motel 6 und erwarten das Schlimmste. Das Motel steht mitten in Hollywood und koste pro Zimmer «nur» 150 Dollar (unter 250 gibt es hier sonst gar nichts!). So schlimm ist es dann nicht einmal, die Dusche ist sogar die angenehmste bis anhin, da richtiges Wasser heraus kommt.
Nachdem wir zu einem erstaunlich unverschämt günstigen Preis (USD 10.- für beide zusammen) etwas gegessen haben, spazieren wir den Walk of Fame (Hollywood Blvd mit den Sternen im Gehsteig) hinauf und wieder hinunter. Dieser ist vom Motel gerade mal 100m entfernt. Bei einem Besuch von Los Angeles ist er ein Muss, es ist alles so farbig und voller Leben. Man trifft Wolverine, Captain Amerika, Spiderman (hat etwas zugenommen), Superman und und und…
Freitag 4.8.2017, Los Angeles Universal Studios
Vor 25 Jahren war ich schon hier und damals war es toll, also müssen wir dahin: zu den Universal Studios. Wir wählen dafür die ÖV von Los Angeles, welche ich damals nicht mal gekannt hatte. Einen Tagespass für 7$ ist sehr zu empfehlen, für uns hätten allerdings vier Einzelfahrten zu 1.75$ gereicht. Die 14$ sind dennoch weniger als die 25$, die man bei den Studios für einen Parkplatz bezahlt. Wir betreten eine Metrostation, wo wir zusammen mit zwei Polizisten zu viert sind. Diese zwei begleiten uns bis zum Ziel, und wir können uns mit ihnen unterhalten. Wir sind sehr erstaunt, wie wenig in dieser Metro los ist, kennen wir doch ganz andere Verhältnisse von Paris, Madrid oder London. Gemäss unseren Polizisten liegt es daran, dass wir uns schon recht ausserhalb des Zentrums befinden und dass die Menschen jetzt bei der Arbeit sind.
Bei den Universal Studios angekommen, präsentiert sich uns ein ganz anderes Bild als vor gut zwanzig Jahren. Bevor man auch nur ein Ticket kaufen darf, durchläuf man einen Security Check wie auf einem Flughafen. Es gibt sehr viele solche Checkpoints damit die Leute auch sehr schnell abgefertigt werden. Das ist auch nötig, denn der Andrang ist gewaltig. So gewaltig, dass wir uns spontan entscheiden, mehr als das Doppelte für einen Eintritt zu bezahlen als normal, damit wir in den Genuss der «Front of Line» kommen. Dieser Preis ist hoch, sehr hoch.
«Front of Line» erweist sich dann aber schon bei der ersten Attraktion, der «Water World» Show als cooles Feature: wir werden speziell begrüsst und haben einen eigenen Eingang ohne Warteschlange. Auch die besten Sitze sind für uns reserviert. «Water World» selber hat in den letzten 25 Jahren nichts von seiner Attraktivität verloren. Angelika ist jedenfalls begeistert und auch ich finde die Show nach wie vor toll.
Bei allen Attraktionen können wir in der Folge den bevorzugten Zugang voll ausschöpfen. Die normalen Wartezeiten betragen meist eine bis eineinhalb Stunden und wir sind in der Regel innerhalb weniger als 10 Minuten am Ziel. Als begeisterter «Walking Dead» – Fan muss ich natürlich auch diese Attraktion erleben. Dazu muss ich aber sagen: schaut besser die Serie. Es ist ganz toll, quasi eine Geisterbahn mit echten Schauspielern als Zombies, aber wenn ich da eine Stunde anstehen hätte müssen, wäre ich ganz schön enttäuscht gewesen. So gibt es aber ein paar tolle Schockeffekte und die Sets aus der Serie werden echt gut dargestellt.
Nach wie vor gibt es eine Studio Tour, welche 50 Minuten dauert und die sehr zu empfehlen ist. Wir fahren im offenen Tourbus an «echten» Drehs und Kullissen vorbei. Immer mal wieder wird unsere Tourleiterin angewiesen ruhig zu sein, da «Aufnahmen im Gange» sind. Auch auf dieser Tour werden Elemente gezeigt, die vor 25 Jahren schon gezeigt wurden, so z.B. der Weisse Hai, der den Bus nach wie vor angreift, das Erdbeben der Stärke 8.3 von San Francisco in der Metro und die Flash Flood, welche Schrecken erregend auf den Bus zuschiesst. Es gibt aber auch neue Elemente, wie der Angriff von Sauriern, welche von Kong zurückgeschlagen werden und die 3D Action aus dem letzten Fast and Furious Teil. Es sind 50 kurzweilige Minuten tolle Unterhaltung und Information.
Etwas ganz Besonderes widerfährt mir schliesslich in der Attraktion «Transformers»: kurz vor dem Ende dieses Rides gibt es eine Panne. Sämtliche Fahrzeuge oder wie man diese Behälter nennen soll, bleiben stecken, ein Totalausfall. Angelika ist bei diesem Ride nicht mehr mitgekommen, weil ihr bei Harry Potter schlecht geworden ist (mir übrigens auch ein wenig). Zum Glück funktioniert aber mein Handy und ich kann ihr den Status durchgeben. Nach etwa 20 Minuten bin ich dann doch draussen und erhalte als Entschädigung eine «Front of Line» – Karte für eine Attraktion. Super, da ich ja «Front of Line» sowieso schon habe!
Zu erwähnen ist auch die Show mit den Hollywood Spezial Effects. Dort werden «realtime» diverse Spezialeffekte gezeigt, dies mit viel Witz und unter Einbezug des Publikums. Es ist die letzte Show, wir haben ansonsten alles gesehen. Danach kehren wir wieder in unser nicht so geliebtes Motel 6 zurück. Die letzte Nacht war ein Graus. Wir denken, in diesen billigen Motels steigen Psychopathen ab, wir sind jetzt jedenfalls davon geheilt.
Zum Abschluss genehmigen wir uns noch ein Bier und eine «Bloody Mary» in unserem zum Stammspunten erklärten Lokal in Los Angeles/Hollywood: dem tèkila, welches sich gerade um die Ecke befindet. Das tèkila ist eine Bar mit Gästen zwischen 25 und 45 (ok, 50) mit coolem Sound und coolen Barkeepern. Wenn wir gerade bei cool sind: obercool sind auch die Drinks, wie sie für Amerika typisch sind: da wird der Wodka nicht abgemessen, er wir einfach hineingeschüttet. Am Schluss hat es dann halt nicht mehr sehr viel Platz für den Tomatensaft, dafür kann man besser einschlafen.
Samstag 5.8.2017, Los Angeles Getty Center
Der heutige Tag ist der krasse Gegensatz zum gestrigen action-geladenen Tag in den Universal Studios. Unser Ziel ist Visalia, drei Stunden nördlich von Los Angeles. Zuvor ist aber ein Besuch im Getty Center geplant. Gemäss tripadvisor ist nicht etwa ein Vergnügungspark die Nummer eins der Attraktionen von Los Angeles, sondern das Getty Center. Bei diesem handelt es sich um eine Anlage, in welcher Kunst aller Art und Epochen ausgestellt sind. Wer mehr dazu erfahren will, kann den Artikel dazu in der Wikipedia lesen. Eine grosse Überraschung ist für uns, dass der Besuch dieses grossartigen Kunstmuseums keinen Eintritt kostet. Einzig für den Parkplatz bezahlen wir 15$.
Im Vergleich zum Vortag hat sich das Publikum komplett geändert. Im Verhältnis gibt es hier viel weniger Amerikaner, man trifft aber Besucher aus allen Ländern der Welt an. Es scheint, als wären vor allem junge Asiaten an Kunst interessiert. Sie machen fast die Hälfte der Besucher aus.
Als erstes schliessen wir uns einer Tour an, welche die Renaissance zum Thema hat. Die Leiterin zeigt uns zuerst Bilder aus dem Mittelalter, um danach den Übergang zur Renaissance anhand einiger Werke zu erklären. Es sind nicht viele Gemälde, die sie uns zeigt, wir bekommen aber ein sehr gutes Bild von dieser Epoche und die Führerin erklärt alles so verständlich und interessant, dass die 50 Minuten im Nu um sind. Ich habe im Vorfeld ein wenig befürchtet, dass es eine Sprachbarriere geben könnte, ich glaube allerdings, es gibt nicht ein Wort, welches wir nicht verstanden hätten.
Etwa eine Stunde später schliessen wir uns einer zweiten Führung an, welche den Impressionismus zum Thema hat. Angelika freute sich vor allem auf diese Tour, da sie ein wahrer Fan von Impressionisten wie Monet, Renoir, Manet, Van Gough oder Cezanne ist. Auch hier werden wir mittels Werken vorbereitet, die vor dem Impressionismus gemalt wurden. Daraufhin zeigt uns die Tourleiterin, was beim Impressionismus geändert hatte. Leider ist diese Führerin nicht mehr so sicher wie die erste, was allerdings nicht allzu schlimm ist. Auch diese Führung ist sehr interessant, es gibt immer wieder neue Aspekte zu entdecken.
Beeindruckend ist auf jeden Fall, dass man direkt Zugriff zu Kunstwerken hat, welche durch ihre Einzigartigkeit mehrere zehn Millionen Franken wert sind. Ich beobachte zwei Mal, wie unachtsame Besucher die Werke mit ihrem Körper oder einem Rucksack touchieren. Sofort ist ein Aufseher da, der den Vorfall per Funkt an eine vorgesetzte Stelle weiterleitet. Ich frage mich in diesen Fällen, wie blöd man sein muss und was für ein Unverständnis da vorhanden sein muss. Ich frage mich, wie lange man als Besucher noch einen so direkten Zugang zu diesen Kunstwerken hat, bevor alles hinter Glasvitrinen verschwindet. Wir können sie jedenfalls noch sehen.
Etwa um vier Uhr fahren wir weiter nach Visalia. Laut Google Maps dauert dieser Weg 2.75 Stunden. Mit grösster Wahrscheinlichkeit würden wir das wohl auch schaffen, wenn wir uns nicht gleich zwei Mal bei der Fahrt aus Los Angeles hinaus verfahren hätten, und dies trotz Navi! Man würde es nicht für möglich halten, aber das Ganze ist doch etwas knifflig: die Beschilderungen haben es manchmal in sich und auf unsere Navigationstante ist auch nicht zu hundert Prozent Verlass. Zum Teil tauchen die Schilder ganz kurz vor dem Abbiegen auf oder man bemerkt zu spät, dass man sich auf der falschen Spur befindet. Etwas ist in Bezug auf die Strassenschilder eben auch erschwerend: statt mit Bildern wie bei uns, wird sehr oft mit Text gearbeitet, und bis man die Hälfte gelesen hat, ist man schon daran vorbeigefahren.
Nach etwas über drei Stunden kommen wir dann doch im gut geheizten Visalia an. Wie erwartet hat die Temperatur hier die 100-Grad-Marke überschritten (100° F entspricht knapp 38°C). Visalia ist der Ausgangpunkt für unseren nächsten Park.
Sonntag 6.8.2017, Sequoia National Park
In Visalia treffen wir auf das beste Hotel bis anhin, das Holiday Inn, für einen Superpreis von $111. Es sieht hier nicht so billig aus wie in allen anderen, in denen wir bis anhin übernachtet haben, und das Lavabo hat einen Einhebelmischer Marke Germany, welcher auch entsprechend funktioniert. Wir entscheiden uns also kurzerhand, noch eine Nacht hier zu buchen.
Visalia liegt am Eingang zum Sequoia National Park. Eingang heisst auf Amerikanisch: nur eineinhalb Stunden entfernt, man übernachtet also praktisch im Park. Wir fahren etwa um halb elf zum Park und kommen am Mittag dort an, auf einer Höhe von rund 2’100 m ü.M. Die Temperatur liegt deswegen bei angenehmen 22 Grad und es ist ein wenig windig, sodass Angelika den Hoody anzieht.
Wie das so oft in Amerika ist, stehen wir auf dem Parkplatz wie der Esel am Berg. Wir finden heraus, dass es von hier aus keinen schlauen Weg zum Wandern gibt. Unser Ziel wäre eigentlich ein anderer Parkplatz gewesen, aber dorthin liess man uns nicht durch, weil alle Parkplätze besetzt waren. Wir haben eine leichte Wanderung von 11km Distanz und 500m Höhendifferenz ausgesucht, welche beim berühmten Sherman Tree starten sollte, dem grössten Baum der Welt.
Ein Shuttlebus bringt uns schliesslich zu dem Parkplatz, welcher unser erstes Ziel ist. Mit wenig Freude stellen wir gleich als erstes fest, dass wir die Karte im Auto liegen gelassen haben. Auf den nächsten Shuttlebus warten und zurück zum Auto scheint keine Option. Wir haben eine bessere Idee: wir schiessen von einer grossen Wanderkarte ein Foto und können dieses für die Details vergrössern. Ach ja: Wanderkarten gibt es natürlich auch im Internet, im Sequoia National Park fehlt jedoch jegliches Netz.
Vom Parkplatz geht es gut 70 Höhenmeter nach unten zum grössten Baum der Welt. Man kann sich vorstellen was es heisst, den grössten Baum der Welt sehen zu wollen: eine Million andere Menschen, die das auch wollen. Etwas muss ich noch ergänzen: auf dem Weg hierher hat Angelika am Strassenrand zum ersten Mal einen Baum gesehen, welcher einen Durchmesser von der Länge unseres Autos hatte, dann noch einen und noch einen… Ich musste sie darauf aufmerksam machen, auf die Strasse zu achten. Der Sherman Tree stellt alles bisher Gesehene in den Schatten. Anhand von Messdaten und Fotos lässt sich dies nur erahnen, wenn man nun davor steht, ist es unglaublich!
«Davon brauchen wir ein Foto», sagt Angelika. Oje, denke ich (man bemerke den Unterschied: Angelika sagte, ich dachte…). Auch hier hat sich schon die amerikanische Menschenschlange gebildet, die, wie wahrscheinlich in China üblich, von den Chinesen ignoriert wird. Diesmal haben wir aber einen Wächter der Schlange von etwas über 2m Länge, der genau darauf achtet, dass niemand zuvor das begehrte Foto mit dem Sherman Tree macht. Ich nehme an, dass wir über eine halbe Stunde anstehen, wegen einem Foti!!! Nun, es ist angenehm und kurzweilig. Erbärmlich ist allerdings das Resultat: unser Fotograf, welcher hinter uns in der Schlange steht, ist DAS Antitalent, was Fotographie anbelangt (siehe Foto). Als wir unser Foto also haben, gehen wir etwas zur Seite und machen noch eins von einer weniger spektakulären Sicht aus. Dabei sprechen wir natürlich Schwiizerdütsch und werden prompt von einem Deutschen aus Berlin angesprochen. Dieser entpuppt sich als früheren Nationaltrainer der deutschen Tennisjunioren. Er macht mit seiner vierköpfigen Familie eine Amerikareise. Aus den paar Sprüchen am Anfang entwickelt sich ein interessantes Gespräch von über einer Stunde Länge, welches ich irgendwann mit der Bemerkung unterbreche, dass wir noch eine Wanderung vor uns haben.
Wir wandern nun mit gut zwei Stunden Verspätung los. Als wir den Sherman Tree Trail verlassen, sind wir auf einen Schlag praktisch alleine. Nach etwa einem Kilometer stossen wir auf einen Pfad, den Congress Trail, welcher nicht mehr geteert ist und wir befinden uns nun wirklich in der Natur. Diese Natur ist komplett verschieden von unserer. Es fallen uns sehr viele Pflanzen auf, welche wir noch nie gesehen haben, so z.B. ein Busch, der Früchte wie Kastanien trägt (stachelig). Es wachsen Dornengewächse, die es bei uns nicht gibt und Bäume, welche wie unsere Rottannen aussehen, aber viel mächtiger sind. Man könnte von der Grösse her meinen, diese stammen von den riesigen Sequoien, jene haben aber eher Ähnlichkeit mit den Zapfen der Zypressen im Mittelmehrraum, nur etwas grösser. Die Nachforschungen ergeben dann tatsächlich, dass die Sequoias Zypressengewächse sind.
Aus der Tierwelt treffen wir viele Streifenhörnchen und Eidechsen an. Einen grösseren Nager, welchen wir auf weniger als 10 Meter Distanz beobachten, können wir nicht eindeutig bestimmen. Mit grösster Wahrscheinlichkeit war es aber ein Murmeltier. Die grosse Sensation erleben wir, als wir nicht einmal zehn Meter neben uns ein Mule Deer (Maultierhirsch oder Grossohrhirsch) grasen sehen. Wir merken bald, dass das Tier auch von lautem Gespräch nicht beeindruckt ist und einfach zwischendurch kurz zu uns aufsieht, um dann wieder weiter zu fressen.
Zuerst treffen wir auf diesem Weg nur eine Gruppe mit fünf Franzosen an, die uns nach dem Weg fragen. Mit meiner fotografierten Karte bin ich natürlich bestens ausgerüstet und kann Auskunft geben (sie haben die richtige Karte dabei!). Wir überholen die Franzosen immer wieder und sie natürlich uns. Auf einmal kommt uns ein USA-Thailänder mit seinen beiden Söhnen entgegen und man sieht ihm seine Erleichterung an, als er uns trifft. Er hat sich offensichtlich verlaufen und keinen Plan mehr. Aufgepasst! Es ist tatsächlich möglich, sich in diesem Gebiet zu verlaufen, da es sehr viele Wanderwege gibt, die sich kreuzen. Die Wegweiser sind zum Teil vorhanden, aber nicht konsistent. Man findet sicher immer aus diesem Irrgarten hinaus, muss unter Umständen aber enorme Wege dafür in Kauf nehmen. Der Thai fragt also, ob er sich uns anschliessen darf, selbstverständlich. Es geht jedoch nicht lang, da ist er wieder mit seinen beiden Söhnen weg, bis er wieder nicht mehr weiter weiss und zu uns zurück kommt. Komisches Kerlchen…!
Gut eine Stunde später kommen wir schliesslich beim Parkplatz an, wo unser letzter Shuttlebus vor einer Stunde weggefahren ist. Das würde jetzt heissen: nochmals zweieinhalb Meilen zu unserem Parkplatz laufen. Angelika hat dazu offensichtlich keine Lust mehr. Als ein Shuttlebus ankommt, welcher in die andere Richtung fährt, fragt sie den Fahrer, ob es keinen Bus mehr in unsere Richtung gibt (was offensichtlich ist). Nach ein paar weiteren Sätzen meint dieser, wir sollen einsteigen, er fahre uns nach oben. Hier haben wir wieder einmal die amerikanische Freundlichkeit erlebt. Der Fahrer floh zwar 1982 wegen dem Bürgerkrieg aus El Salvador in die USA, kann aber durch und durch als Amerikaner bezeichnet werden.
Um viertel nach sieben fahren wir aus dem Park in Richtung Visalia. Der Weg ist eigentlich klar, aber auch nach einer Viertelstunde können wir nichts erkennen, was wir schon mal gesehen hätten. Ich versuche es trotz fehlendem Netz mit Google Maps und siehe da: der Weg ist noch gespeichert. Wir finden heraus, dass wir zwar in Richtung Westen fahren, aber nicht nach Visalia, sondern nach Fresno! So ein Gagg! Also umkehren und den ganzen Weg zurück. Wir haben dann noch das Glück, vor uns eine tragisch langsame Schnecke zu haben, die den Fahrer hinter uns halb wahnsinnig macht. Dieser hupt und blendet mit dem Licht, den Fahrer vor uns in seinem Sportwagen beeindruckt dies aber überhaupt nicht. Angelika ist mittlerweile die Geduld auch vergangen als wir nach einer knappen Stunde den Parkeingang erreichen. Mit einem Husarenstück gelingt es uns, am langsamen Autofahrer vorbei zu kommen, endlich! Mittlerweile sind praktisch alle Restaurants geschlossen aber wozu hat man denn auch Fastfood, der 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht. Dies ist also wieder eines der seltenen Abendessen, wo Burger King auf dem Speiseplan steht. Und ihr glaubt gar nicht, wie gut dieser ist, nachdem wir schon seit über zwölf Stunden nichts als ein paar Früchte gegessen haben!
Montag 7.8.2017, Fahrt nach Mariposa
Der heutige Tag sollte ein Tag zum Ausspannen sein. Ich will nur etwas erledigen, was nicht wirklich wichtig ist: meine «California Drivers Licence» erneuern, welche 1996 abgelaufen war. Wir fahren also ins nahe gelegen DMV (Department of Motor Vehicle) von Visalia. Als erstes fällt mir auf, dass der Parkplatz davor riesig ist und dazu auch noch mehr oder weniger voll. Die werden doch wohl nicht alle da drin sein? Ich öffne die Tür und staune nicht schlecht: Links und rechts je etwa 60 Stühle, von denen jeder einzelne besetzt ist. Es gibt zusätzlich Menschen, die im Raum stehen. Zum Glück steht ein Beamter da, welchen ich frage, ob ich den Führerschein erneuern kann und wie lange das dauern würde. Er meint, mit eineinhalb bis zwei Stunden müsse ich schon rechnen. In Tat und Wahrheit bedeutete das mindestens zwei Stunden. Ich lasse es also bleiben und würde es an einem anderen Ort versuchen.
Wir machen uns auf den Weg nach Mariposa, welches wir ausgewählt haben, weil der Yosemite Nationalpark nur eine gute Stunde davon entfernt ist. Wir hatten versucht, etwas näher Liegendes aufzutreiben, aber keine Chance: selbst das teuerste Hotel war restlos ausgebucht.
Auf dem Weg nach Mariposa staunen wir einmal mehr über die Vielfalt und Grösse der kalifornischen Obstplantagen. Dabei fällt uns eine Frucht auf, wegen der wir stoppen müssen. Ich fotografiere sie und werde sie im WSOP Chat veröffentlichen, wo wir eine plausible Antwort erhalten werden.
Etwa eine halbe Stunde vor Mariposa fällt uns auf, dass es gebrannt hatte und zwar grossflächig. Wir fahren mehr als eine halbe Stunde durch verbranntes Gebiet und rätseln, wann das wohl passiert war. In Mariposa angekommen, sehen wir ein Band, auf welchem jenen gedankt wird, welche die Brandopfer des Detwiler Fire unterstützt hatten. Offensichtlich ist dies die Bezeichnung dieses Brandes. Über 60 Gebäude waren verbrannt, ein grosser Teil davon Einfamilienhäuser. Eine Google-Nachforschung ergibt, dass der Brand am 17.7. ausgebrochen war, also nicht mal vor drei Wochen! Er soll durch eine Schusswaffe ausgelöst worden sein.
In Mariposa frage ich die Dame an der Rezeption unseres Best Western Motels, ob es hier ein DMV gibt und ob man auch so lange warten muss. Den ersten Teil bejahte sie, den zweiten verneinte sie. Frohen Mutes mache ich mich auf den Weg. In der Tat hat es hier weniger Leute, wohl aber auch weniger Beamte, welche die Fälle bearbeiten, denn auf die Frage an den «Front of Line» Wartenden bekomme ich die Antwort, dass er schon über eine Stunde wartet. Oje, ich entscheide mich dennoch, es zu versuchen. Etwa 20 Minuten später kommt eine Beamtin und stellt irgendwelche Fragen wegen Formularen, welche ich nicht verstehe. So erkläre ich ihr meinen Wunsch und frage sie, ob es überhaupt möglich ist, da mein Ausweis schon 21 Jahre abgelaufen war. Sie meint, ich solle mitkommen, sie würde es überprüfen. Siehe da, ich bin tatsächlich im System auffindbar. Es steht also einer Erneuerung nichts mehr im Wege, denke ich. Ich fülle den Antrag aus und kurz vor Abschluss kommt dann der Stolperstein: ich brauche eine Adresse. Kein Problem, denke ich, ich rufe einfach bei Michael Politi in Sutter Creek an, damit er mir seine Adresse gibt. Ich bin enttäuscht, als ich auf der SIM zum Telefonieren kein Netz habe. Meine zweite SIM kann ich nur für Daten verwenden. Etwas niedergeschlagen verlasse ich das DMV. Diese Geschichte ist aber noch nicht abgehakt!
Über die Enttäuschung hilft dann das sensationelle Abendessen im Charles Street Dinner House hinweg. Schon der Empfang ist fantastisch: die Dame macht uns klar, dass sie alles tun würde, um uns so schnell wie möglich einen schönen Tisch zur Verfügung zu stellen, weil sie uns dann so lange wie möglich dort behalten will. Hier bestellten wir ein Stück Fleisch, welches sich nicht auf der Karte befindet, man aber als Entrecote bezeichnen dürfte. Es ist wunderbar zart und riesig gross. Nachdem ich zwei Drittel gegessen habe, muss ich aufgeben, Angelika schon nach einem Drittel. Anhand dieser Tatsachen schätze ich das Fleisch auf zwischen 500 und 600 Gramm. Zu schade um es wegzuwerfen, lassen wir es für den morgigen Tag einpacken.
Dienstag 8.8.2017, Yosemite
Ich erwache heute mit Durchfall, wobei ich mich zum Glück aber topfit fühle. Bevor wir von Mariposa wegfahren, bin ich schon viermal auf dem Klo gewesen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, wenn man eine grössere Wanderung im Tagesprogramm hat. Das erste, was ich also nach einer Stunde Autofahrt im Yosemite National Park mache, ist einen Restroom aufzusuchen (dringend!). Schlau wie ich bin, erblickte ich vier junge Kerle, die ein Necessaire dabei zu haben scheinen. Ich schliesse mich also diesen an. Nach etwa 200 Metern biegen sie ab und da sehe ich, was der Sinn ihres Spazierganges ist: ein morgendliches, jüdisches Gebet! Schei***! Zum Glück hat es unweit davon doch noch ein WC. Puhaaah, die Details erspare ich euch hier. Jedenfalls ist es das zum Glück für den Rest des Tages.
Auf dem Rückweg zu Angelika sehe ich, dass bei allen Fahrzeugen eine «Parking Permit» hinter der Windschutzscheibe liegt. Wir müssen also entweder eine solche Erlaubnis haben oder umparken. Wir entscheiden uns für das Zweite und finden unweit vom jetzigen Platz eine Parklücke. Neben uns parkt ein Nissan mit einem Nummernschild aus Utah und wir kommen irgendwie mit den Fahrern ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass es sich um ein Paar aus Nottingham (England) handelt, Adam ist 42, seine Partnerin Keggs 46. Die Beiden erklären uns ihre Wanderung an zwei Wasserfällen vorbei und wir planen spontan um, da unsere Wanderung eine «Out and Back»-Wanderung gewesen wäre und ihre ein «Loop» (nicht derselbe Weg hin und zurück). Wir machen uns also auf den Weg und immer wieder stoppen wir, einmal weil wir aus nächster Nähe ein Mule Deer mit ihrem Jungen beobachten können, einmal wegen seltsamen Vögeln, welche auch auf zwei Meter Distanz nicht wegfliegen. Immer wieder ergibt sich ein Gespräch mit den Engländern und auf einmal wandern wir synchron und quatschten mit den zweien.
Unsere Wanderung führt uns an zwei grossartigen Wasserfällen vorbei den Vernal und Nevada Falls. Bezeichnenderweise heisst die Wanderung in der «AllTrails»-App «Vernal and Nevada Falls via the Mist Trail». Die Strecke wird mit knapp 11 km und gut 740 Höhenmeter angegeben, also nichts Verrücktes. Dennoch brauchen wir dazu sage und schreibe 8 Stunden! Der Grund dafür sind die beiden Engländer. Wir sind sehr schnell gestartet, doch wir verlangsamen das Tempo mehr und mehr und müssen stehen bleiben, weil wir uns kugeln vor lauter lachen. Wir müssen auch stehen bleiben, weil es wieder etwas besonders Interessantes zu berichten gibt und wegen der phantastischen Gebirgslandschaft. Der Hauptgrund für die Verzögerung ist aber definitiv das Gespräch mit dem englischen Paar, das so abwechslungsreich und lustig ist, dass wir die Zeit dazu benötigen. Ab und zu vergessen wir sogar, auf die wunderschöne Landschaft zu achten, so absorbiert uns das Gespräch. In den ganzen acht Stunden sprechen wir nicht mehr als 10 Sätze in unserer eigenen Sprache.
Der Weg ist wie so oft in Amerika fast überall geteert, an der beeindruckendsten Stelle gibt es jedoch eine Felstreppe vorbei am Vernal Fall. Diese Partie gibt dem Trail auch den Namen Mist Trail: man ist von unten bis oben in den Sprühregen des Wasserfalls eingetaucht, welchen man als Nebel (Mist) interpretieren kann. Da wir recht früh unterwegs sind, ist es noch angenehm kühl und durch den Sprühregen wird es fast ein wenig zu kalt. Wir sind also nicht ganz unglücklich, diese Stelle überwunden zu haben.
Von weitem können wir nun den Nevada Fall sehen, unsere nächste Etappe. Dieser ist auf eine andere Art noch schöner als der erste Wasserfall. Auch dort wandern wir hoch und überqueren den Fluss auf einer Brücke gleich hinter dem Wasserfall auf dem nach unten führenden Abschnitt des Muir Trail, welcher selbst eine 340 km lange Wanderung durch Kalifornien darstellt (John Muir Trail). Ab jetzt geht es nur noch nach abwärts.
Mittlerweile hat der Fussgängerverkehr massiv zugenommen, da auch längst die Spätaufsteher unterwegs sind. Am Schluss der Wanderung sehen wir eine neue, von Hand gemalte Tafel. Hier kann man lesen, dass in diesem Jahr bereits neun Menschen im Yosemite Nationalpark ums Leben gekommen sind, die meisten durch Ertrinken in den reissenden Gewässern. Im ganzen Vorjahr waren es insgesamt 15 gewesen. Von den letzten dreien, die ertrunken waren, wurde nur einer gefunden. Das sind doch ziemlich beeindruckende Zahlen und wir kommen mit einem Parkranger ins Gespräch, der die Tafel offensichtlich gerade gezeichnet hat. Dieser erzählt von unvorsichtigen, leichtsinnigen Touristen als ein paar Minuten später eine völlig aufgeregte italienische Touristengruppe ankommt, welche die 14 jährige Tochter verloren hat. Im ersten Moment sind wir regelrecht schockiert, es stellt sich dann aber heraus, dass die pubertierende Tochter nicht mehr weiterlaufen wollte und der Rest der Gruppe ihr gesagt hatte, sie solle an einem Punkt warten. Wir können also davon ausgehen, dass das Mädchen sich auf den Weg nach unten gemacht hat und nichts passiert ist. Einen Tag später lesen wir dann zum Glück auch nichts im Internet von diesem Vorfall.
Beim Auto tauschen wir mit den uns lieb gewordenen Engländern die Kontaktdaten mit der Gewissheit aus, dass wir uns wieder treffen würden. Und dass wir Wort halten, habt ihr ja mittlerweile gemerkt.
Anmerkung: sie kommen im Frühling 2018 zu uns und wir besuchen sie im darauf folgenden Sommer.
Leider können wir unsere neue Freundschaft nicht mit einem Bier begiessen, weil wir uns mit Michael und Dolores Politi zwischen sieben und acht in Sutter Creek verabredet haben. Wir starten im Yosemite National Park um viertel vor vier und sollten gemäss Navi um halb sieben in Sutter Creek sein. Nach etwa einer halben Stunde muss Angelika Forfait beim Fahren geben. Tagwache um viertel nach fünf, die Wanderung und die Gespräche mit den Engländern zollen ihren Tribut. Ich darf also nach vielen Wochen auch wieder mal ans Steuer, juhuu!
Vor lauter Freude fahre ich viel zu schnell und kassiere prompt ein Ticket von $350! Ähhh, «I’m kidding», nur ein Scherz… Ich finde im Nachhinein aber heraus, dass man bei einer Geschwindigkeitsübertretung von mehr als 15mph, wie ich sie fast zur Regel machte (die Strasse war extrem breit und übersichtlich und ich war nicht ganz der einzige), mit mehreren 100 Dollar Busse rechnen muss. In Zukunft würde ich mich also hüten, so schnell durch die Gegend zu fahren. Ich überlasse das Steuer besser wieder Angelika.
Eine halbe Stunde früher als geplant sind wir bei den Politis in Sutter Creek. Weil man in Amerika nicht einfach so hereinplatz, rufe ich sie an, als wir vor ihrem Haus ankommen. Sie öffnen die Tür und begrüssen uns. Sie freuen sich riesig, dass wir doch noch gekommen sind, nachdem sie beim ersten Mal nicht da waren. Sie laden uns zu einem kleinen Imbiss ein. Wir beziehen aber zuerst unser Zimmer im Hotel Sutter, welches von Micheal reserviert wurde («I did a good deal»). Dieses ist herrlich amerikanisch und stammt wie fast alles in Sutter Creek aus dem vorletzten Jahrhundert, als hier der kalifornische Goldrausch begann.
Nach der Dusche machen wir uns auf den fünf Minuten dauernden Fussweg zu den Politis. Michael Politi stammt von Italienern ab, sein Grossvater war eingewandert, Dolores kommt aus Minnesota. Wir hatten die beiden vor drei Jahren in Florenz (It) kennengelernt und damals gewarnt, dass wir sie im Jahr 2017 besuchen würden. Verständlicherweise hatten sie nicht damit gerechnet, dass wir Wort halten würden, und als sie vor ein paar Monaten meine Ankündigung gelesen hatten, hätten sie meine Geschichte wohl nicht geglaubt, wenn ich nicht als Beweis ein paar Fotos von uns vieren mitgeschickt hätte.
Als Imbiss tischen uns die Politis italienische Salami, Früchte aus Kalifornien, leckere selbst gemachte Wurst und den besten Wein aus der Umgebung auf, Zinfandel, Barbera, Tempranillo und San Giovese und Assemblages dieser Traubensorten. Für den Durst erhalte ich allerdings als erstes ein eisgekühltes Heineken.
Wir unterhalten uns sehr lange mit den Politis über dies und jenes und machen uns etwas nach elf Uhr auf ins Hotel Sutter, wo wir innert kürzester Zeit einschlafen.
Mittwoch 9.8.2017, Sutter Creek
Heute haben wir um halb eins mit Michael und Dolores abgemacht. Wir besuchen mit ihnen zwei Weingüter in der Umgebung, wo uns verschiedene Weine gezeigt werden. Das erste Weingut, welches wir besuchen, nennt sich Bray Vineyards in Plymouth. Beim Winzer erfahren wir einige interessante Fakten. So findet man zum Beispiel überall Rosen, wo es Trauben gibt. Den Grund, den sie dafür angeben ist, dass irgendwelche Krankheiten der Trauben als erstes die Rosen befallen. Sie können also früh genug reagieren, indem sie erkennen, dass die Rosen krank werden. Scheinbar gibt es hier auch Probleme mit Blattläusen, wobei mir nicht bekannt ist, dass diese unseren Trauben auch schaden. Wir fragen uns auch, warum in den Rebbergen Türme mit Propellern stehen, vielleicht um Wasser zu Pumpen oder Strom zu produzieren? Nein, sie sind dazu da, die eiskalte Luft bei Frost wegzublasen, wenn er dann ein oder zwei Mal pro Jahr da ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies funktioniert, zumindest wenn es sich nur um einen leichten Bodenfrost handelt.
Beim zweiten Weinproduzenten, dessen Name mir leider entfallen ist, machen wir eine interessante Bekanntschaft: die Frau des Kellermeisters hat eine Schweizer Mutter und einen italienischen Vater. Ausserdem musste ihr Cousin von seinem Vater eine Chemiefirma geerbt und sie in den neunziger Jahren verkauft haben. Leider ist mir dessen Name entfallen. Er muss steinreich sein, hat Häuser rund um die Welt und wohnt in Liechtenstein. Sie und ihr Mann waren vor drei Jahren vom Cousin in den Quellenhof in Bad Ragaz eingeladen. Michael und Dolores hatten diese Frau noch nicht gekannt, machten aber spontan mit ihr in Florenz ab, weil sie zur selben Zeit im Oktober dort sein werden. Wir werden versuchen, ein verlängertes Wochenende auszuhandeln, damit wir auch dabei sein können.
Anmerkung: die Politis haben wir im Herbst 2017 in Florenz wieder getroffen, die Frau des Kellermeisters war aber nicht dabei, dafür die netten Nachbarn Nan und Patrick.
Zum Abendessen sind wir bei den Politis zu Hause eingeladen. Dabei stellt sich heraus, dass Michael ein grossartiger Koch ist. Wir bekommen glatt einen Viergänger serviert, angefangen mit einem kleinen Apero (Spargeln umwickelt mit Coppa und ein abartig volles Glas Vodka), als Vorspeise Tomatensalat, Avocado und selbst gebackenes Brot und als zweite Vorspeise Fettuccine mit einer cremigen Tomatensauce. Danach gibt es als Hauptspeise einen sagenhaften Schweinebraten vom Grill, serviert mit gegrillten Zucchetti, Zwiebeln und «Baked Patatoe». Dazu gibt es Sauercreme, Frühlingszwiebeln, gegrillte Zwiebeln, gegrillte Pfirsiche und selbstgemachte «Apple Sauce» (von uns klar erkannt als Apfelmus). Zum Dessert hat Dolores ein feines Panna Cotta hergestellt, dekoriert mit Erdbeermarmelade. Hinzu kommt ein selbst hergestellter Limoncello. Wir essen wie die Fürsten, bis uns fast schlecht ist. Dazu gibt es herrlichen Rotwein und angeregte Diskussionen, angefangen mit unverfänglichen Fragen wie «how did you grow up?» bis zu politischen Themen wie Einwanderung und soziale Wohlfahrt, wo wir dann nicht mehr so ganz derselben Meinung sind. Am Schluss drücken wir uns dennoch wieder herzlich und machen für den morgigen Tag ab, wo wir etwas wirklich Cooles erleben sollten.
Donnerstag 10.8.2017, Sutter Creek
Michael hat uns gestern gesagt, wir sollten «at noon» (12 Uhr mittags) bei ihm vorbeikommen. Er ruft allerdings um 10 Uhr an, dass sie nach dem gestrigen Abend etwas langsam waren und ob halb eins auch Ok wäre. Wir einigen uns auf ein Uhr, so kann ich noch Berichte schreiben, und wir können gegenüber im Cafe-O-Latte einen Kaffee mit Gebäck zu uns nehmen.
Wir treffen uns also um eins bei ihm zu Hause. Da er noch nicht ganz bereit ist, zeigt Dolores uns ihr Haus. Das ist schon etwas anders als bei uns: es gibt 1’000 verschieden Sachen und keinen Platz, wo man noch irgendetwas hinstellen könnte. Dennoch schaffen sie es jedes Mal, wenn sie nach Italien reisen, etwas mitzunehmen und es zu Hause zu platzieren. Wenn man alles beschreiben wollte, müsste man ein Buch schreiben.
Als Mike bereit ist, geht es in seine Garage und wir können nun das testen, was wir schon beim ersten Besucht mit Begeisterung gesehen hatten: seinen Hot Rod. Zum Glück gibt es Google und ich konnte mich vorher mit dem Thema auseinandersetzen. Bei Hot Rods handelt es sich um modifizierte Fahrzeuge, die bis zum Abwinken «getuned» sind. Hier die Daten zu seinem modifizierten Hot Rod:
Body: 1923 Ford
Motor: V8/5.7 Liter/380 PS
Chassis: Speedway
Gewicht: 535 kg
Getriebe: Chevy Turbo 350 Transmission
Man braucht nicht allzu viel Ahnung von Autos und Motoren zu haben, aber man beachte mal das Verhältnis Leistung zu Gewicht! Wir fahren also mit diesem geilen Teil die Strasse runter auf die Mail Street von Sutter Creek. Jeder, der uns kommen hört, dreht den Kopf nach uns um. Es gibt auch Daumen-Hochs von Autofahrern, die ich mit meinem breitesten Grinsen erwidere. Als wir ausserhalb des Dorfes sind, drückte Mike das Gaspedal durch und die Motoren dröhnten auf. Das Gefährt schiesst davon, allerdings nicht allzu lang, da wir in kürzester Zeit die zulässige Geschwindigkeit überschreiten. Wir fahren so zwei, drei Runden und kehren wieder zurück, damit auch Angelika mitfahren kann. Sie ist genauso begeistert wie ich.
… und los geht’s!
Wir erfahren von Mike viele Details aus der Hot Rod Szene. Unter anderem ist der offensichtlich weltbekannte Andy Brizio (logischerweise hatte ich keinen Plan) sein guter Freund, mit dem er jeden Mittwochmorgen frühstückt. Auch er wohnt in Sutter Creek und hat unzählige Hot Rods hergestellt. Des Weiteren ist Mike schon Dragsters gefahren, die die Viertelmeile in gut 8s schafften. Das Ganze ist ja nicht unsere Welt, unter anderem weil es das bei uns schlicht nicht gibt, aber es ist schon voll geil! Wir spüren auch, wie Michael sich freut zu sehen, wie interessiert wir uns an seinem Hobby zeigen.
Nebenbei erzählt uns Michael von seiner Waffensammlung, die sich sehen lassen darf. Leider fehlt uns zum Ausprobieren die Zeit dazu. Etwas später machen wir uns auf den Weg in die Bar Whiskey Flat Saloon in Volcano, was für ein lustiger Ortsname, in welcher man das Pulver der Colts aus vergangenen Zeiten förmlich riechen kann, oder auch nicht. Jedenfalls gibt es dort ein Schild mit der Aufschrift «In the year 1856 absolutely nothing happened here» (1856 passierte hier rein gar nichts).
Nach dem Apero geht es ins Indianercasino Jackson Rancheria Casino Resort, etwas, was wir hier nie erwartet hätten. Bei diesem Casino handelt es sich um ein sehr kleines Casino, welches etwa 10 Mal so gross ist, wie das in Bad Ragaz. Weil man hier keine Tax (Steuern) zu bezahlen hat, ist das Essen ausserordentlich günstig: wir bezahlen zu viert inklusive Trinkgeld gerade mal $130 und sind komplett vollgefressen. Michael und Dolores nehmen die Reste mit nach Hause. Sie werden morgen locker davon leben können.
Müde, vor allem vom Vortag, machen wir uns auf den Heimweg und ich setze mich an den Noti, um diesen Bericht zu schreiben. Morgen geht es früh raus, wir haben zwei Sachen zu erledigen.