WSOP Main Event

Sonntag 9.7.2017, Ankunft des Koffers

Mein Notebook hat einen Tag später endlich den Weg nach Las Vegas gefunden. Der Grund für die Verzögerung war die Powerbank, welche ich im Gepäck verstaut hatte. Fälschlicherweise war ich davon ausgegangen, dass man diese wie das Notebook im Gepäck verstauen sollte. Im Nachhinein finde ich heraus, dass man sie nur im Handgepäck mitnehmen darf und dass sie eine Kapazität von 100Wh nicht überschreiten darf. In diesem Zusammenhang also mein Tipp: bei der Fluggesellschaft abklären was zulässig ist.

Unsere Reise begann in Zürich am Freitag um 8:15 Uhr. Unerwünscht spannend wurde es schon in Frankfurt: Reisende in die USA werden vor dem Abflug nochmals genauer unter die Lupe genommen. Ich hatte das Pech, in einer Stichprobe zu landen, welche akribisch gecheckt wurde. Als ich sah, dass ein Grenzbeamter nach der vorherigen Kontrolle gerade die Handschuhe auszog, befürchtete ich das Schlimmste. So war es dann zum Glück nicht. Nach einer gefühlten Stunde war ich wieder bei meiner kleinen Gruppe, Angelika und Peter.

Auf dem Flug von Frankfurt nach Las Vegas kamen Angelika und ich mit der sympathischen Flugbegleiterin ins Gespräch und ich erklärte dieser den Grund unserer Reise. Die Stewardess war hell begeistert. Sie kam immer wieder bei uns vorbei und wollte mehr Informationen zu unseren Ferien. Sie gab uns gleich noch Tipps zum Einkauf in Las Vegas mit.

Noch gibt es Eis in der Hudson Bay

Den elfstündigen Flug hatte ich mir wesentlich schlimmer vorgestellt. Mein letzter Interkontinentalflug liegt schon über zwanzig Jahre zurück und ich erinnere mich mit Grauen daran. Die Zeit verging diesmal wie im Flug, zumal wir sie mit dem Bordunterhaltungssystem verkürzen konnten.

Die nächste Hürde sollte die Einreise in die USA sein: Meine Arbeitskollegen Heinz und Manuel waren kurz vorher in die USA gereist und erzählten von drei bis vier Stunden, die sie für die Einreise benötigt hatten. Unser Grenzbeamte stellte uns eine Frage über die mitgebrachten Lebensmittel und wir, also eigentlich nur Angelika, erklärten ihm den «Grison Nut Pie» (meine freie Übersetzung einer Bündner Nusstorte). Mich hat der Beamte doch einfach mehr oder weniger ignoriert! Mit Angelika flirtete der Kerl noch eine Weile weiter, und ich stand zähneknirschend daneben.

Die Einreise dauerte gerade mal 10 Minuten inklusive Schlange stehen. Das lief ja wie am Schnürchen, hätte man meinen können. Ich hatte schon befürchtet, dass wir es nicht schaffen, rechtzeitig den im Voraus gemieteten Wagen um halb fünf abzuholen. Jetzt musste nur noch das Gepäck ankommen.

Wir erblickten Gepäckstück eins recht schnell auf dem Förderband, ebenso Peters Gepäckstück zwei. Was aber war mit Gepäckstück drei los? Nach knapp einer Stunde waren schliesslich alle Reisenden mit ihrem Gepäck verschwunden und die Zeit lief uns davon (Mietwagen). Wir wandten uns an eine Flughafenangestellte und füllten ein Formular über den Verlust des Gepäckstücks aus.

Als wir den Flughafen verliessen blies uns ein heisser Wind mit 47-49 Grad entgegen (es gibt unterschiedliche Angaben zur Freitagstemperatur). Das fühlt sich so an, als würde man sich in einem Backofen befinden.

Wir schafften es trotz den Umständen mit dem Koffer tatsächlich, um halb fünf beim «Ceasars Palace» aufzukreuzen um den Wagen in Empfang zu nehmen, hätten wir geglaubt… Im «Ceasars Palace» erwartete uns jedoch eine kleine Odyssee. Von A wurden wir nach B, nach C usw. geschickt, bis wir schliesslich den Schalter von Hertz gefunden hatten, etwa 10 Minuten zu spät. Der dunkelhäutigen Dame am Desk merkte man ihren Unmut an. Sie hat sich wohl auf ihren Feierabend gefreut und nun kommen diese Touristen zu spät. Wie auch immer, wir konnten unseren Chevrolet Impala in Empfang nehmen. Beim Blick in den Kofferraum konnte man meinen, dass dieser nigelnagelneu war, anhand von ein paar Kratzern sah man aber doch, dass er schon gebraucht war. Der Kilometerstand zeigte ca. 1700 Meilen. Alles in allem war es eine coole Karre.

Las Vegas, wir sind hier: Ceasar’s Palace

Die Fahrt zum Hotel gestaltete sich als nicht ganz einfach, da wir nun schon sehr lange auf den Beinen waren. Gemäss der Zeit zu Hause war es irgendwo morgens um sechs. Ich hatte glatt vergessen, dass sich die Ampeln hier gegenüber der Kreuzung befinden. Nach anfänglicher Verwirrung lief alles gut und wir konnten schliesslich im Hotel einchecken. Unser über 40 Quadratmeter grosses Zimmer im zwölften Stock erwies sich als luxuriös. Wenn man es aber genauer anschaute, sah man, dass überall immer noch mehr Schein als Sein war wie schon vor 20 Jahren. Dies liess sich an jedem Detail der Handwerksarbeiten und an den eingesetzten Materialien feststellen. Das war kein Vergleich zur Qualität, welche wir von zu Hause kannten.

Total kaputt in unserer Bleibe für eine gute Woche angekommen…

Der Ärger über den verlorenen Koffer liess uns natürlich keine Ruhe. Wenigstens ein USB-Ladegerät musste her. Ich machte mich also im Hotel auf den Weg nach unten und lief auch direkt in einen Laden, wo es solche Sachen zu kaufen gab. Hier war ich vom Preis für ein simples USB-Ladegerät schockiert, belief er sich doch auf $32.-. Bei IKEA bekommt man so etwas für unter $10.-!

Im Laufe der Zeit musste ich feststellen, dass sich das Preisniveau hier in den letzten zwanzig Jahren komplett geändert hatte. Ein Bier kostete damals $2.-, nun bekommt man kaum eines unter $8.-. Bei einem All-You-Can-Eat-Buffet konnte man sich für $5-8.- einkaufen, nun sind wir bei $35-50.-. Da hilft es wenig, dass wir damals für einen Dollar CHF 1.50 bezahlen mussten und der Kurs nun viel besser bei 1:1 ist.

Nichts desto trotz kaufte ich als Kommunikationsjunkie das Ladegerät und wollte mich auf den Weg zurück zum Zimmer machen. Das ging aber nicht, da ich einen Wegweiser erblickte, welcher mich magisch leitete: der Weg zur WSOP. Ich folgte diesem Wegweiser also durch den ganzen Hotelkomplex und stand auf einmal inmitten des Geschehens. Das war es also, worauf wir jahrelang hingearbeitet hatten. Ich war schlicht überwältigt.

Ich wollte eigentlich einfach noch etwas hier stehen bleiben und weiter schauen, musste aber zurück, da Angelika auf mich wartete. Als ich ins Zimmer kam, traf ich diese total niedergeschlagen an: sie begann an ihrem Entscheid zu zweifeln, an der Poker Weltmeisterschaft teilzunehmen und hatte einen schweren Kulturschock. Kein Wunder bei einer Frau, die grössten Wert auf Schönheit und Ästhetik legt. Der Flug, der Rummel und das für unsere Begriffe schmuddelige Umfeld waren einfach zu viel.

Eine der vielen Turnierräume oder besser -hallen

Der Aufsteller folgte 10 Minuten später im Lift. Wir betraten ihn und es haute uns fast vor Hitze um, was wir natürlich diskutierten. Zwei Stockwerke tiefer kam ein Amerikaner, Nummer 1, hinzu, welcher sich auch über die Hitze im Lift beschwerte. Nochmals fünf Stockwerke tiefer kam Nummer 2, ein weiterer Amerikaner dazu und sagte auch etwas über die Hitze. Ich bemerkte im Scherz, dass wir alle das grad diskutiert hatten, da sagt Nummer zwei sinngemäss: logisch, bei so einer Frau muss es ja heiss sein. Das habe ich natürlich als Kompliment aufgefasst (und Angelika hoffentlich auch), aber Nummer eins hat sofort reagiert und «thank you» erwidert. Das war so eine witzige Situation, dass wir alle laut heraus lachen mussten. Das ist eben auch Amerika: spontan, offen, humorvoll.

Als nächstes war Abendessen angesagt. Wir bestellten die kleinere Variante eines Steaks. Dieses wog 16 Unzen, ein Pfund, ein knappes halbes Kilo. Das Fleisch ass ich, von den Beilagen ein wenig. Peter handhabte es etwa wie ich, aber keine Chance für Angelika. Das war einfach zu viel. Die Portionen sind etwas für Pubertierende, aber nicht für Ü50 (und angehende), welche fast keine Kalorien mehr benötigen.

Das erste richtige „Futter“ im Rio: 16oz, ca. 450g

Das war der erste Tag unseres siebenwöchigen Aufenthalts in den Staaten, erlebnisreich, lustig, zermürbend, ermüdend, voller Emotionen. Der zweite war der Tag der Vorbereitung auf das grosse Turnier, ebenso der dritte.

Wir begaben uns oft in die Turnierräume, speziell zu den Feature Tables, wo wir die epische Hand von Vanessa Selbst gegen Jaël Baumann miterleben konnten (Top Full gegen Quads).

Die WSOP Moderatorin Kara Scott
Die sympathische WSOP Moderatorin Kara Scott stellt sich in der Pause für ein Foto zur Verfügung

Wir wissen, dass es äusserst hart werden wird. Wir wissen, dass es ein Kampf wird und sind uns bewusst, dass es unglaublich schwierig sein wird, das Ende des dritten Tages zu erreichen. Jede Hand kann das Aus bedeuten. Das beste Beispiel dafür zeigten am Feature Table Vanessa Selbst (USA) und Gaëlle Baumann (FR) mit Top Full House gegen Poker mit Siebenen. So etwas kann einfach passieren und man muss sich keinen Vorwurf machen, wenn man rausfliegt. Poker hat viel mit Glück zu tun. Wir schauen voller Zuversicht auf den morgigen Tag.

Montag 10.7.2017, Tag 1C im Turnier

Ich versuche, meinen Turnierverlauf so zu beschreiben, dass es auch für Pokerlaien einigermassen verständlich ist. Zu den Abkürzungen für die Karten folgende Legende:

A: Ass
K: King / König
Q: Queen / Dame
J: Jack /Bube
T: zehn
9,8,…2 restliche Karten

s: suited (von derselben Farbe)
o: offsuit (nicht von derselben Farbe)

Dazu ein Beispiel: ATo bedeutet Ass-Zehn, nicht von derselben Farbe.

Button: das ist der Platz, an welchem der Dealer sitzt, also derjenige, der die Karten verteilt. Dieser Platz ist der beste Platz im Poker, da man immer als letzter Spieler handeln kann. Ausserdem kann man Druck auf die Blinds machen, wenn alle Spieler gefoldet haben (Karten weggeworfen). Der Dealerbutton wechselt immer um eins nach links. Schön bei einem solchen Turnier ist, dass man die Karten nicht selber austeilen muss, sondern ein Dealer am Tisch sitzt, der sich darum kümmert und dafür sorgt, dass der Button weitergereicht wird.

Small Blind: der erste Platz neben dem Dealer (Button) links. Dieser muss gezwungenermassen den kleinen Einsatz bezahlen, ob er nun eine gute oder schlechte Hand hat.

Big Blind: der zweite Platz links vom Dealer, welcher den grossen Einsatz bezahlen muss.

Small Blind und Big Blind sind am Anfang bei 75/150 bei einem totalen Stack von 50000 Chips.

Ab Level 3 kommt ein zusätzlicher Pflichteinsatz jedes Spielers hinzu, das Ante. Es ist etwa ein Achtel des Big Blind. Den genauen Turnierplan findet man hier:
Structure Sheet

Unsere beiden Turniertickets für je $10’000

Nachdem Tag 1A und 1B vorüber sind, starten wir am Tag 1C pünktlich um 11:07. Eigentlich wäre der Start auf 11:00 festgelegt, das berühmte «Shuffle Up And Deal» wird aber jeweils sieben Minuten später ins Mikrofon gesprochen.

Der Tisch, an welchem ich sitze, ist nicht ganz voll. Es sind nur 8 statt neun Plätze vergeben. Dies bedeutet, dass man im Gegensatz zu einem 9er oder 10er Tisch mehr Hände spielen muss und auch aggressiver vorgehen muss. Das mache ich auch in der ersten Hand, als ich auf dem Button K2s habe, eine miserable Hand, und alle nach mir folden (wegwerfen). Es sind nun nur noch der Small Blind und der Big Blind in der Hand und ich hoffe mit diesem Schrott natürlich, dass beide wegwerfen und ich die Blinds einsammeln kann. Da hab ich mich aber geschnitten. Der Small Blind schmeisst mir auf mein Raise (Erhöhung) grad ein Reraise (nochmalige Erhöhung) um die Ohren. Es macht den Anschein, dass der sich nicht rumschubsen lassen will. Ich calle (bezahle die Erhöhung) und hoffe auf gute erste drei Karten auf dem Tisch (Flop). Da nichts kommt und der Small Blind setzt, muss ich aufgeben. Zwei Sachen sind nun möglich: 1. der small Blind hatte wirklich eine gute Hand oder 2. er wollte sich nicht herumschubsen lassen. Ich tippe auf das zweite.

Blick von meinem Platz in Richtung Feature Table

Es werden weitere Hände gespielt und ich mache mir ein Bild jedes einzelnen Spielers:

Platz 1 (erster Spieler links von mir): aggressiv, vermutlich ein Profi.

Platz 2 (links von Platz 1): extrem ängstlicher Spieler, der sang- und klanglos untergehen wird (gegen Schluss von Tag eins kann ich ihn eliminieren).

Platz 3: solider, mittel aggressiver Spieler mit enorm viel Gewicht, Amerikaner, welcher mich gerne angreift, wenn ich im Blind bin (gezwungene Einsätze).

Platz 4: der Russe (eigentlich ein Georgier, aber die sind irgendwie alle Russen), welcher später eine abartige Gewinnsträhne hat. Er spielt superaggressiv und ich vermute, dass er ein Profi ist. Ich merke erst acht Stunden später bei einem fatalen Fehler, dass er mit Sicherheit kein Profi ist. Diese Fehleinschätzung war allerdings nicht entscheidend, da er wirklich gut spielte.

Riesenfehler des Georgiers: er deckt seine AA zu früh auf, so kann der Amerikaner KK offen wegwerfen.

Platz 5: unscheinbarer Spieler, der anfangs praktisch nichts macht, was mir Anlass zur Sorge geben würde. Er kommt mir bekannt vor, ich kann ihn aber nicht einordnen. Möglich, dass ich ihn mal im Fernsehen gesehen habe.

Platz 6: Norweger, extrem sympathisch, blufft sehr viel. Ich schätze ihn als Profi ein. Er verhilft mir später mit einem Bluff zu vielen Chips. Andererseits freut er sich ehrlich, dass ich am Schluss des Tages den Chiplead vom Tisch übernommen habe.

Platz 7: Amerikaner aus New Jersey, recht solider Spieler, der aber keine grosse Variante im Spiel hat und deshalb nicht gefährlich ist.

Platz 8: zuerst ein Inder, welcher gegen Tagesschluss vom Russen eliminiert wir. Dieser spielt ultraagressiv, raist jede Hand, wenn niemand vor ihm drin ist. Es ist entgegen der Logik genial, dass ich links von diesem Spieler sitze, da ich Müll einfach wegwerfen kann und gute und auch weniger gute Hände gegen ihn reraisen kann. Gegen Reraises kämpft er nämlich kaum an. So kann ich viele kleine Pots sichern.

Platz 9: ich selbst.

Zwischen mir und Platz 1 sitzt der Dealer, welcher bei jedem neuen Verteilen der Karten den Button im Kreis herumgehen lässt und die erste Karte dem Spieler links vom Button gibt (small Blind). Der Dealer selbst wird auch durch den ganzen Saal gereicht: ca. alle halbe Stunde gibt es einen neuen Dealer am Tisch. Ach ja: in meinem Raum, wo auch Angelika spielt, gibt es schätzungsweise gut 30 Tische. Die Dealer sind total unterschiedlich, streng, stets hilfsbereit, manchmal humorvoll und leiden zum Teil mit den Spielern mit.

Noch etwas zum Spielsaal: Angelika und ich denken, dass wir den besten Raum erwischt haben, da sich hier der Feature Table befindet, jener Tisch, der live im Fernsehen auf ESPN2 übertragen wird. Ich sehe so von meinem Platz aus bekannte Spieler wie John Juanda (USA) und den Pokerstar Daniel Negreanu (Kanada). Der Raum selber ist relativ klein, es haben nur etwa 300 Spieler Platz. Selbst das ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Das TV braucht enorm viel Platz für das Equipment.

Barry Greenstein am Feature Table

Das Turnier beginnt für mich eigentlich ganz ordentlich, was ich so verliere, hole ich wieder rein. Ausserdem kann ich mir mein schlechtes Image erarbeiten, damit ich später mehr Chips erhalten kann. Dies gelingt mir hervorragend, aber ich habe sehr viel Pech mit den Karten und es geht abwärts und abwärts. Nach zwei Stunden habe ich nur noch knapp 46’000 Chips, was mich aber ganz und gar nicht beunruhigt. Mehr beunruhigt mich, dass ich in den nächsten Stunden nur noch verliere. Mit QQ (zwei Damen) erlebe ich schliesslich den Tiefststand: 29’000. Das beunruhigt mich nun aber wirklich, da ich fast schon auf den halben Startstack zurückgefallen bin!

Nun heisst es einfach, geduldig bleiben. Warten, so gut wie nichts mehr spielen und auf bessere Karten hoffen. Nach sechs Stunden erreiche ich wieder 33’000, eine Stunde später knapp 36’000. Kurz vorher passieren aber noch zwei sensationelle Hände, in welche der Russe und der Inder verwickelt sind. Nach diesen zwei Händen ist der Inder weg vom Tisch, eliminiert vom Russen.

Meinerseits beginnt es auf einmal zu laufen, schon als der Inder noch am Tisch war, konnte ich diesem mit Threebetten (reraisen) ein paar kleine Pots abnehmen. Nachdem er raus ist, verhilft mir der Norweger zu ca. 10’000 Chips, indem er in mich hinein blufft: Ich raise mit AJo und er callt im Big Blind mein Raise. Die drei ersten Karten auf dem Tisch sind J55. Ein hervorragender Flop. Ich habe nun eine komplette Hand mit AJJ55. Der Norweger checkt und ich will mit dieser starken Hand setzten. Da geht mir ein Licht auf: ich werde so keinen einzigen Chip gewinnen oder er kann mich sogar rausbluffen, indem er die 5 repräsentiert. In diesem Fall hätte er mit drei Fünfen die bessere Hand. Ich muss ihn bluffen lassen (und hoffen, dass er die 5 nicht hat, was ich für recht unwahrscheinlich halte). Ich lasse es also darauf ankommen, und es passiert genau das, was ich erwartet haben: bei der nächsten tiefen Karte setzt der Norweger. Als die letzte Karte ein König ist und er nochmals setzt, sage ich zu ihm: «that king didn’t really help you, did it? Call!» Er sagt «no» und zeigt A9, hat also quasi nur ein Ass und die zwei fünfen, welche liegen und ich ja mit ihm teile. Nach diesem Bluff ich bin zurück auf 45’000.

Nach knapp 10 Stunden erreiche ich schliesslich 51’000, etwas mehr als den Anfangsstack, falle wieder auf 38’000 zurück, erreiche dann mit AA gegen drei Spieler wieder 45’000. Ein Auf und Ab. Einen entscheidenden Schritt nach oben mache ich mit dem grössten Fehler des Tages, welcher mir mit Glück auf dem River eine Strasse beschert und durch die ich Spieler 1 weit mehr als 15’000 abnehmen kann. Ultraschlecht gespielt und dafür ausbezahlt werden. Auch das ist Poker. Jetzt bin ich beim Tisch komplett unten durch, aber ich bin ja nicht hier, um mir Freunde zu machen. Vor allem der Spieler 1 gibt mir seinen Unmut natürlich bekannt. Das schöne ist aber, dass er eine halbe Stunde später schon wieder Witze mit mir macht. Ein echter Profi und eben auch noch Amerikaner. Tage später wird er wieder am selben Tisch wie ich sitzen und wir besprechen nochmals diese irre Hand. Ein halbes Jahr später sehe ich ihn schliesslich in der Zusammenfassung der WSOP auf Sport1 wieder. Er hat es ganz weit nach vorne geschafft.

Vorjahressieger Qui Nguyen mit dem doofen Tigerkäppi an einem Feature Table

Um halb zehn notiere ich mir, dass ich langsam ans Limit komme. Jetzt nur noch durchhalten und den Tag eins überleben. Chips hab ich dazu genug. Aber es ist halt nicht meine Natur, dazusitzen und nichts tun. Ich bekomme auf einmal eine absolute Sicherheit. Es beginnt zu fliessen und ich arbeite mich höher und höher mit den Chips. Gegen Elf habe ich 80’000 Chips etwas nach elf schon 88’000. Punkt viertel nach elf dann kommt der Durchbruch: ich cracke die Assen und eliminiere damit den Spieler auf Platz 3. Der Ablauf der Hand ist wie folgt:

Der neu dazu gekommene Spieler rechts von mir raist. Ich habe KK und reraise nicht allzu hoch. Da kommt der Spieler auf Platz 3 und reraist nochmals auf etwas über 10’000. Da ich sehr viele Chips habe, entscheide ich mich zu callen. Ich bin allerdings drauf und dran, KK weg zu werfen, weil ich eine starke Vermutung habe, dass Platz 3 AA hat. Gegen AA habe ich nur eine 20%ige Chance mit KK zu gewinnen. Die Chance, den König bei den ersten drei Karten zu treffen, ist sogar nur 10%! Als nun die ersten drei Karten kommen, sehe ich in der Mitte den gewünschten König. Bingo! Jetzt hoffe ich, dass Platz 1 AA hat, da ich dann all seine Chips bekomme. Platz 1 checkt und ich setzte 15’000, etwa drei Viertel des bestehenden Pots. Wie erhofft geht Platz 1 mit AA und etwa 50’000 Chips All-In und ich insta-calle (ein Call ohne eine Sekunde Verzögerung). Nun hat Platz 2 noch 8% Chance für ein drittes Ass, welches zum Glück nicht kommt. Ich bin nun rauf auf ca. 140’000 und halte am Tisch ein Referat, dass das wohl das letzte war, dass ich mich nun zurücklehne und nichts mehr mache, schaue die Karten an und sehe 66, keine Wahnsinnshand aber definitiv ein Raise! Nun geht der schlechteste Spieler mit ca. 10’000 All-In, etwa 16 Big Blinds. In Anbetracht meiner Menge an Chips und des Verhältnisses zu seinem Stack zögere ich auch hier nicht zu callen. Er zeigt KK, schlecht für mich, aber am Schluss erhalte ich einen tiefen Flush, welcher mir zum Sieg reicht. Das ist eine der letzten Hände des Tages und ich tüte schliesslich die knapp 150’000 ein, welche mir zum 113. Gesamtrang nach Tag eins verhelfen (7221 Teilnehmer). Dies ist ein Resultat, welches ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet habe.

Nun geht es morgen mit Tag 2B weiter. Diesen Tag zu überleben wird nicht einfach sein, vor allem weil man immer darauf bedacht sein muss, noch mehr Chips zu machen, da die Blinds (Einsätze) alle zwei Stunden ansteigen. Die Money Bubble (der letzte, der ohne Geld nach Hause geht) wird gegen Ende des dritten Tages erwartet. Somit habe ich erst einen guten Drittel hinter mir (wenn ich es dann schaffe). Ich weiss allerdings, dass ich das schaffen kann und werde auch alles dafür tun. Es ist halt einfach so, dass auch die Karten mitmachen müssen.

Zu Hause, resp. in deren Ferien werden die Daumen gedrückt (Bruder Dani, Karin und die beiden Kinder Lynn und Jarno)

Dienstag 11.7.2017, Tag 2A+B

Heute findet der zweite Spieltag für die Gruppen 1A und 1B statt. Für uns bedeutet dies, dass der ganze Tag pokerfrei ist. Aus diesem Grund machen wir zu dritt eine gemütliche Hoteltour, um etwas abzuschalten. Dabei kommt uns zugute, dass die beiden Hotels «Rio All-Suite» und «Harrah’s» derselben Gesellschaft angehören und diese deshalb einen kostenlosen Shuttle Bus betreiben, der zwischen den beiden Hotels hin- und herpendelt. Wir können also einen Grossteil der Hotels am Strip besuchen und bestaunen, ohne bei der enormen Hitze viel Zeit draussen verbringen zu müssen.
Der Las Vegas Strip ist ein Abschnitt des Las Vegas Boulevard in Las Vegas und Paradise im US-Bundesstaat Nevada, der für seine dichte Ansammlung von Luxushotels und Casinos weltweit bekannt ist. (Zitat Wikipedia). Besonders eindrücklich sind dabei die Hotels «Luxor», «Bellagio» und «Excalibur».

Natürlich besuchen wir auch heute die WSOP: Greg Raymer und Chris Moneymaker
Mike „The Mouth“ Matusow (grauenhaftes Outfit, aber authentisch) im Interview mit Kara Scott

Mittwoch 12.7.2017, Tag 2C

Wie immer muss ich mir am Anfang einen Überblick über den Spielstil meines neuen Tisches verschaffen. Der Platz wird jeden Tag neu ausgelost. Dabei macht einer der Spieler zu Beginn einen äusserst aggressiven Eindruck. Als er durch ein Riesenpech allerdings seinen Spielstil ändern muss, ist er kein Problem mehr. Schockiert bin ich, als derjenige am Tisch auftaucht, dessen Bruder gestern gestorben war. Wir Spieler hätten das nicht erwartet. So wie ich es aber verstanden habe, war das nicht aus heiterem Himmel geschehen. Zuerst weiss ich nicht mal, was ich von dieser Geschichte halten sollte, aber Angelika sieht von hinten die Bestätigung in seinem Chat auf dem Telefon (riesige Schrift).

Gute Laune beim improvisierten Mittagessen aus dem Styroporbehälter auf einer Bank. Erstaunlich lecker…

Alle Spieler hier wissen genau, wie man Poker spielt. Ich denke, mindestens die Hälfte sind Profis und auch die anderen haben das Spiel im Griff. Extrem überrascht bin ich dann doch, wie der Hawaiianer am Tisch aus dem Turnier fällt: er geht mit 88 All-in, wo doch das Ass auf dem Flop liegt. Der Gegner hat AAA gefloppt 1 zu 1’600 für einen Sieg (so ungefähr, da er noch zwei achten erhalten müsste). An diesem Tisch kann ich mir in 8h etwa 100’000 Chips erarbeiten. Das ganze passiert in kleinen Schritten, ich bin nicht in einen einzigen riesigen Pot verwickelt, wie es am Tag eins der Fall war.

Ich bin sehr enttäuscht, dass auf einmal der Tisch aufgelöst wird, welcher mir so gut passte. Ich komme an einen neuen Tisch und bin von der Aggression schockiert, die ich dort in den ersten zwei Händen antreffe. Was soll daraus werden? Ich beobachte ein wenig und steige ins Spiel ein. Aus der Angst wird eine Dominanz. Der Tisch fängt mir an zu passen. Ich weiss, wie ich die Spieler zu nehmen habe. Ich gewinne ein paar Pots mit Luft und «Biswind». In den nicht mal zwei Stunden, die ich dort bin, gewinne ich 70’000 Chips, bin also viel effizienter als beim vorherigen Tisch. Schön ist, dass es etwa eine Stunde vor Schluss wieder zu fliessen beginnt: ich habe alles komplett im Griff. Die Müdigkeit ist weg und ich kann mein Spiel machen. Am Schluss tüte ich 322’000 Chips ein. Mein Ziel war über 200’000, was ich um mehr als 50% übertreffe!

Es ist schon sehr spät, und deswegen ist der Bericht heute etwas spärlich geblieben. Ich muss ins Bett, weil es morgen früh weitergeht. Die genauen Resultate des heutigen Tages erhalten wir morgen, ich kann deshalb nur schätzen, wie der Stand des Turniers aussieht: vom heutigen Tag sind etwa 1’600 weiter, von gestern ca. 800. Somit ergibt sich ein Durchschnitt von ca. 144’000 Chips pro Spieler. Mit meinen 322’000 bin ich natürlich recht gut dabei. Die halbe Miete ist das schon mal, aber eben erst die halbe. Die Money Bubble (der Letzte, der ohne Geld nach Hause geht) wird morgen erst spät am Abend erwartet. Bis dahin ist noch alles möglich.

Beim Drink nach dem Turniertag getroffen: der Brite Will Kassouf

Donnerstag 13.7.2017, Tag 3

Mit meinem komfortablen Chipstack starte ich voller Zuversicht in den Tag drei. Die Zuversicht wird ziemlich schnell zerstört. Einerseits habe ich zwei superaggressive Spieler am Tisch, andererseits verliere ich auf eine sensationelle Art eine Hand gegen einen dieser Spieler auf dem River. Das wäre ja noch eins, aber als Zusatz kommt nicht viel später der Chipleader des Turniers an den Tisch, Matt Moss, ein bekannter Pokerprofi.

Mir gegenüber am Tisch: Matt Moss, zu dieser Zeit Chipleader des Turniers

Eigentlich wäre das ja toll, wenn es dann nur irgendwie laufen würde. Aber auch gegen diesen Spieler verliere ich auf dermassen dämliche Art und Weise einen Pot, dass ich anschliessend total down bin (Fachausdruck: on tilt). Ich verlasse deswegen schon 10 Minuten vor der Pause den Saal, um in diesem Zustand nicht noch fatale Fehler zu machen. In der 90-minütigen Pause motivieren mich Peter und Angelika so sehr, dass ich danach wieder top motiviert bin.

Angelika verbietet mir das Handy und sagt, ich solle mich interessierter verhalten, aufrecht dasitzen und mit den anderen Spielern kommunizieren. Ich nehme mir dies zu Herzen und labere mit Matt Moss Smalltalk. Dabei finde ich heraus, dass er in Saas Fee wohnt. Alles in allem ist er ein supersympathischer junger Kerl mit absolut null Starallüren. Ich gewinne nun einige kleine Pots und es geht auf einmal recht gut vorwärts. Ich werde an diesem Tisch im Big Blind praktisch immer geraist, aber das beste passiert mir gegen Moss: dieser raist mit irgendetwas. Ich calle mit QJs (Herz). Der Flop kommt mit drei Herzen und KT. Ich floppe also den Flush mit dem open ended Straigt Flush Draw. Herz 9 gibt mir den Straigt Flush, Herz Ass sogar den Royal Flush, obwohl ich ja den Flush schon habe. Wie gewinnt man nun gegen einen solch aggressiven Spieler Chips? Indem man nicht setzt! Ich checke also und lasse ihn setzen. Dummerweise macht er das nicht. Auf dem Turn checke ich nochmals und diesmal klappt es: er flankt die Chips rein. Ich calle nur. Nun kommt der River und ich setze direkt 40’000. Er überlegt nicht lange und bezahlt. Ich sage: I had a f***** «Beep» Draw und er beginnt zu grinsen, dass er das natürlich gedacht (Draw) und deshalb gecallt hat. Als er allerdings sieht, dass ich den Flush schon gefloppt habe und nur noch einen Straight Flush ziehen wollte, obwohl ich diesen gar nicht brauchte, vergeht ihm das Grinsen. Natürlich hat er viel mehr Chips als ich, aber diesen Moment gegen den bekannten Profi werde ich sicher nie vergessen.

Hier noch ohne Handyverbot und mit guter Laune

Weniger gut sieht es dann einige Zeit später aus, als ich 120’000 Chips «verblöterle». Ich denke mir, dass der Zeitpunkt für diesen Bluff perfekt ist, die Rechnung geht aber nicht auf. Ich falle unter 200’000. Im Gegensatz zu den anderen zwei verlorenen Pots macht mir dieser aber gar nicht zu schaffen. Hier weiss ich, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe. Was ich nun aber nicht mehr mache ist, zu Angelika an der Rail zu gehen und ihr davon zu erzählen. Die würde mir den Kopf abreissen. Man kann aber nicht nur auf die guten Hände warten, sondern muss auch mal was versuchen. Ein paar Hände später schaffe ich es dann wieder auf weit über 200’000 Chips. Einen schönen Pot mache ich mit TT. Auf dem Flop kommt alles tief (höchste Karte eine sieben) und ich setzt 35’000. Auf dem Turn kommt noch eine sieben und ich setzte 45’000. Auch auf dem River kommt nichts Gefährliches und ich checke mit der Option, dass ich callen werde, falls der Gegner setzt. Das macht er nicht und ich gewinne einen ansehnlichen Pot.

Viel mehr als das oben Beschriebene kann ich gar nicht machen. In den heutigen 11.5 Stunden erhalte ich fast nur Schrott. Das Beste sind zwei Mal TT. Beide Male gewinne ich.

Interessant wird es dann, als es zur Moneybubble kommt (der Letzte, der kein Geld gewinnt). Als noch vier rausfliegen müssen, wird Hand für Hand gespielt und die Zeit angehalten. Das ist vielleicht ein Raunen, Buhen und Jubeln als eine nach der anderen All-In Hand gezeigt wird. Drei Hände werden so gespielt und für jede werden mindestens 10 Minuten benötigt, bis die Bubble platzt. Weil schon vorher viel gejubelt wurde, ist es mir dann gar nicht so klar, dass das grosse Ziel erreicht ist, dass ich im Geld bin. Ich muss erst den Dealer fragen. Und das ist jetzt eine Freude! Ich schaffe es doch tatsächlich beim «World Series of Poker Main Event 2017» ins Geld, $15’000 habe ich auf sicher!

Noch ist das Turnier nicht um, mit nur noch knapp 30 Big Blinds sieht es aber nicht allzu rosig aus. Ich habe keine Möglichkeit mehr zu variieren. Es gibt nur noch Push or Fold (alles hinein oder gar nicht erst mitspielen). Aber das ist egal: ich kann immer noch weit kommen und ich werde alles möglich dafür tun. Wenn es dann nicht klappt, kann ich mit einem super Gefühl auf die weitere Reise gehen. Was ich hier erleben durfte, hat meine Erwartungen übertroffen.

Donnerstag 13.7.2017, Zwischenbemerkungen zum Turnier

Es ist so, dass das Spiel ganz normal weiterläuft, d.h. alle zwei Stunden werden die Blinds und das Ante erhöht. Heute wird noch das Level 11 fertig gespielt, welches gestern zur Bubble geführt hat. Danach geht es weiter mit 4’000/8’000/1’000 (small Blind/big Blind/Ante). Wenn ich nun 120 Spieler überlebe, gibt es $1’000 mehr, wenn ich danach weitere 100 überlebe, nochmals 1’000 mehr. Für den nächsten Preisschritt wird der Abstand immer kleiner und der absolute Betrag immer grösser. Es wird aber nicht möglich sein, auf AA zu warten und dann vielleicht zu verdoppeln, weil Blinds und Antes einen vorher auffressen. Leider habe ich mit nicht mal 30 Big Blinds praktisch keine Möglichkeit mehr, das Spiel zu variieren. Meine Strategie wird also Push or Fold sein: alles reinstellen oder die Karten wegzuschmeissen. Zu dieser Strategie kommt es praktisch für jeden Spieler im Turnier mindestens einmal, viele Spieler sind sich dessen aber nicht einmal bewusst. So erlebe ich des Öfteren Spieler, welche ein preflop Raise callen, welches höher als ihr verbleibender Stack ist um dann auf dem Flop zu folden! Einen solchen Fall erlebte ich gestern gegen die Beauty neben mir. Sie callte mein Preflop Raise und der gesamte Pot war danach mehr als das doppelte von dem, was sie noch hatte. Sie checkte und ich setzte sie All-In. Sie foldete. Ich nehme an, sie hatte 22 -55 und hoffte auf den Drilling. Jede Karte ausser die, welche zum Drilling führt, kann fast nur eine Overcard zu ihrem tiefen Paar sein. Sie musste also von drei Karten auf dem Flop Angst haben und foldete. Was ihr nun bei einem Verdoppler blieb, war weniger als das, was sie vor dem Call des Raises hatte. Ein fataler Fehler, welcher zeigt, dass sie keine Ahnung von Poker hat. Sie hätte in diesem Fall mit Any Two auch auf dem Flop zahlen müssen oder eben viel besser: selber All-In gehen. Ich hätte Q8o weggeschmissen. So gibt es hier sehr viele Spieler, welche sang und klanglos untergehen. Da sind Angelika, Peter und ich um Welten besser. Es gibt aber eben auch viel mehr von den anderen, von den Haien, die im Becken auf die Schwachen lauern und jederzeit zuschlagen. Diese Spieler fallen auf durch aggressives, variantenreiches Spiel und es ist herrlich, bei diesen mitzumischen. Es ist ein Spiel, das wir vom Wochenendpoker her nicht kennen. Der Stil bei uns zu Hause ist ganz anders und wenn ich nicht alle WSOP Events im TV mitverfolgt hätte, hätte ich wohl keine Chance gehabt.

Freitag 14.7.2017, Tag 4 (Abschlussbericht)

Kräftigendes Frühstück vor dem Start zum 4. Spieltag (eigentlich für eine Person, reicht aber locker für drei)

Heute bin ich nun also im Push or Fold Modus. Ich habe in Anbetracht des kleinen Chipstacks keine Möglichkeit mehr, das Spiel zu variieren. Andererseits denke ich mir, ich könnte mir vielleicht noch den einen oder anderen Tausender sichern und nie zu vergessen: es ist noch alles möglich mit einem oder zwei Verdopplern. Zur Erinnerung: $15’000 hatte ich schon mal auf sicher. Vielleicht brachte ich noch das gesamte Buyin von mir und Angelika zurück, nämlich $20’000. So blieb ich recht zurückhaltend. Ganz zu Beginn hatte ich Hammerhände wie AA, AK, QQ und weitere. Es wurde oft geraist, aber leider foldeten alle auf mein Allin. Es war einfach noch ein bisschen zu viel für einen Call mit any two (beliebigen zwei Karten). Nicht zu Reraisen wäre allerdings ein Fehler, denn gerade mit AA sinken die Chancen für einen Sieg pro Teilnehmer am Pot mit irgendeinem Paar um 10% (AA gegen einen Spieler mit Paar: 80%, gegen 2 Spieler 70% usw.). Man hat also am liebsten nur einen Gegner. Weil ich nur wenige Chips mache, kann ich nach wie vor nicht normal spielen. Einmal versuche ich es und falle von 260’000 Chips grad wieder auf 220’000 zurück. Wieder am Anfang.

Ich habe einen sehr aggressiven Tisch erwischt, welcher auch loose callende Spieler hat, d.h. auf ein minimum Raise foldet der Big Blind gar nie. Das macht das Ganze mit einem kleinen Stack unspielbar und ich möchte nicht unbedingt meinen restlichen Stack verbluffen. Es gibt ja auch noch kleinere Stacks. Ich mache also weiter und werfe praktisch alles weg oder gehe Allin (sehr selten). Nach einiger Zeit habe ich dann das Preisgeld von USD $16’000 erreicht, das ist doch schon mal was. Es geht weiter auf $17’000, $18’000, gut $20’000, $22’000 und $24’860, wo dann das Spiel für mich endet.

Das Ende ist wieder mal typisch Poker: ein Spieler geht mit seinem Stack All-in, der fast so gross wie meiner ist. Ich entdecke AK und gehe sofort All-in (viele machen daraus eine Riesengeschichte und überlegen 3 Min. lang). Er zeigt AQ, was mir eine 75% Chance gibt, schon mal gut. Der Flop (erste drei Karten) kommt fast perfekt mit K-tief-tief. Die halbe Miete. Seine Chancen sind auf 1.8% gesunken. Turn und River bringen aber leider TJ und er hat Broadway (Strasse bis Ass AKQJT). Nach dieser Hand bleiben mir nur noch 6BB. Kurz darauf Stelle ich KJ Allin und werde von A4 im Big Blind gecallt. Meine Chancen irgendwo bei 40%. Ich treffe K auf dem Flop und verdopple. Immer noch kein richtiger Stack mit etwa 13BB. Wenige Hände später erhalte ich dann TJ. Mit meinem Image und meinem tiefen Stack ein glasklares Allin. Der Spieler hinter mir reraist, um alle restlichen Spieler zu vertreiben, worauf aber ein weiterer Spieler Allin geht. Nun ist mir klar: ich brauche Glück. Ich treffe beinahe den perfekten Flop: mit 9Q-tief erhalte ich einen open ended Straight Draw. Ich habe schon vier Karten zur Strasse (QJT9). Leider hat einer der beiden Spieler KK und nimmt mir zwei Outs weg (Karten, die mir helfen). Es helfen mir somit nur zwei Könige und vier Achten, statt 32% Chance habe ich nur ca. 24%. Aber sie sind noch da. Leider kommt keine der erhofften Karten und ich scheide aus.

Meine letzte Hand JT gegen KK. Das Board verlief 9s2dQs-6s-9d

Für jeden Spieler ist es eine grosse Enttäuschung, aus diesem Turnier zu fallen, so natürlich auch für mich. Wie jeder andere habe auch ich mir gewünscht, am ganz grossen Pot teilhaben zu dürfen. Andererseits habe ich es geschafft viel weiter zu kommen, als ich erwarten durfte. Etwas darf man nicht vergessen: Sehr viele Pokergrössen haben es in diesem Turnier nicht einmal in die Geldränge geschafft. Hier geht’s zur Rangliste…(siehe 512. Platz, $24’867 Preisgeld)
Und sogar in die Wikipedia hab ich’s geschafft…

Der wenig beeindruckende Beweis für den 512. Rang

Was ist nun das Fazit? Ich schreibe das jetzt, wie ich es im Moment empfinde und bin mir bewusst, dass sich meine Meinung ändern kann: einmal WSOP war der Traum seit 10 Jahren, einmal WSOP habe ich nun mitgemacht. Mein höchstes Buyin vor diesem Turnier war EUR 200, nun waren es $10’000. Im Moment habe ich genug von Poker und freue mich auf die nächsten sechs Wochen Ferien und vor allem eine anständige Mütze voll Schlaf. In den letzten Tagen waren es nie mehr als fünf Stunden.

Die vergangenen Tage waren eine wahnsinnig intensive Zeit, nicht zuletzt, weil ich so grosse Unterstützung von zu Hause erhalten habe. Ihr seid zum Teil bis früh in den Morgen drangeblieben und habt mit mir gelitten. Ihr habt mir dadurch natürlich auch einen gewissen Druck auferlegt, welcher bestimmt ganz gut war: ich wollte euch nicht enttäuschen und habe mein bestes Poker gespielt: ich habe während der ganzen Zeit nur drei grössere Fehler gemacht, wobei sich einer sogar ausbezahlt hat.

Und noch etwas: Las Vegas ist eine verrückte Stadt und man muss sie einfach gesehen haben. Aber ich habe jetzt die Nase voll davon, von dieser Gluthitze und den hohen Preisen. Wir müssen hier raus! Zuerst kommt nun aber morgen Peters Tochter Carla hierher und wir bleiben noch eine Nacht. Anschliessend geht es auf einen Flug in den Grand Canyon und danach wird spontan geplant.

Turnier zwar verloren, dafür aber der beste Burger ever von Guy Fieri

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